Die Geschichte der großen Entdeckungen der Menschheit eint ein Merkmal: Sie geschahen oft aus Zufall.
Der Bakteriologe Alexander Fleming entdeckte 1928 durch Zufall das Antibiotikum Penicillin. Der Wissenschaftler hatte eine Nährbodenplatte mit Staphylokokken in seinem Büro vergessen, auf der später Schimmelpilze wucherten.
Zufall war es auch, als der Mediziner Wilhelm Conrad Röntgen 1895 Gasentladungs-Röhren einschaltete und dabei beobachtete, wie Kristalle auf einem nahestehenden Tisch aufleuchteten. Angespornt von dieser Beobachtung experimentierte Röntgen weiter – und entdeckte die Röntgenstrahlung, die heute noch zur medizinischen Diagnostik eingesetzt wird.
„Das LSD hat mich gerufen, ich habe es nicht gesucht“
Wie und was genau sich am Freitag, dem 16. April 1943, im Büro des Pharmaforschers Albert Hofmann zugetragen haben muss, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Fakt ist aber, dass auch hier der Zufall seine Finger im Spiel hatte.
Albert Hofmann forschte zu dieser Zeit für das Pharmaunternehmen Sandoz in Basel. Der Chemiker arbeitete an einem neuen Kreislauf-Stimulanz – bis dato ohne Erfolg. Hofmann bereitete sein Büro für das Wochenende vor, es war Freitag, und der Forscher hatte mit der Arbeitswoche gedanklich längst abgeschlossen. Plötzlich befiel ihn jedoch eine „merkwürdige Unruhe, verbunden mit einem leichten Schwindelgefühl“.
Hofmann konnte sich diesen Zustand nicht erklären und entschied, nach Hause zu radeln. Dort fiel er in einen tiefen Rausch. Seinen Zustand schilderte er später wie folgt: „Im Dämmerzustand bei geschlossenen Augen (das Tageslicht empfand ich als unangehm hell) drangen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem (…) Farbenspiel auf mich ein.“ Etwa zwei Stunden dauerte dieser Zustand an. Dann verflüchtigte er sich. Was war geschehen?
Offenbar hatte Hofmann unbewusst eine kleine Menge der Lösung aufgenommen, mit der er zuvor im Labor experimentiert hatte. Inspiriert von dem Sandoz-Stimulanz Coramin, hatte der Chemiker eine Verbindung auf Basis von Lysergsäure gefertigt. Lysergsäure ist er Grundbaustein des Mutterkorn-Alkaloids. Am Schluss der Synthese kam es zu dem Rausch, den Hofmann später als „wunderbares Erlebnis“ und als „tief beglückend“ beschrieb.
Der Chemiker war elektrisiert. „Falls LSD die Ursache des geschilderten Zwischenfalls gewesen war, musste es sich um eine schon in kleinsten Spuren wirksame Substanz handeln.“
Hofmann wagte deshalb am 19. April einen Selbstversuch, drei Tage nach seinem ersten LSD-Rauch. Er erlebte einen „Horrortrip“. Hofmann hatte versehentlich eine zu hohes Dosis des Mittels eingenommen. „17.00 Uhr: Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz“, notiert er noch in seine Unterlagen. Das Schreiben fällt ihm bereits schwer. Er setzt sich erneut auf sein Fahrrad und fährt nach Hause.
LSD – der „Dämon“
„Alles im Raum drehte sich“, wird Hofmann im Buch „Albert Hofmann und die Entdeckung des LSD – Auf dem Weg nach Eleusis“ zitiert. Die Möbel seiner Wohnung hätten „groteske, meist bedrohliche Formen angenommen“. Auch seine Nachbarin, die ihm zur Entgiftung ein Glas Milch reichen wollte, sei ihm wie eine „bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze“ erschienen. Für kurze Zeit war sich Hofmann sicher: „Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen.“ Der Forscher fürchtete, verrückt geworden zu sein.
Als sich die Wirkung des LSD verflüchtigte, wich der Schrecken und machte „einem Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit Platz“. Wieder sah Hofmann vor seinem inneren Auge bunte Farben und Formen aufziehen. Das Klackern einer Türklinke oder das Rumpeln eines vorbeifahrenden Autos verwandelten sich in optische Bilder, in Farben und Formen stetig wechselnd.
Hofmann Teaser LSD
Hofmann – ein besonnener und akkurater Forscher – hatte mit LSD eine der potentesten Bewusstseinsdrogen unserer Zeit entdeckt. Der Chemiker entwickelte ein zwiegespaltenes Verhältnis zu seiner Droge: Wenn er über seine Entdeckung sprach, wirkte er dabei beinahe väterlich-fürsorglich. Er hatte ihr seinen Ruhm zu verdanken. Andererseits wusste er auch von ihren gefährlichen Seiten. Er hatte sie am eigenen Leib erfahren. Hofmann nannte LSD sein „Sorgenkind“.
LSD kam 1949 unter dem Namen Delysid auf den Markt und wurde zunächst in der Psychotherapie eingesetzt. Das Mittel sollte unter anderem die seelischen Leiden von Menschen mit Sucht-Erkrankungen oder Schizophrenie lindern.
In den Sechzigerjahren entdeckte die Hippie-Szene LSD für sich. Hofmanns Entdeckung wurde zur Droge der Stunde: Für die Anhänger der Anti-Establishment-Bewegung bedeutete LSD vor allem eines: Realtiatsflucht, ein Ausbruch von der von vielen als beengend wahrgenommenen gesellschaftlichen Norm.
Doch dann folgte für Hofmann ein erneuter Horrortrip: Er musste mitansehen, wie seine Erfindung immer häufiger missbraucht wurde. Immer wieder dosierten Menschen die Droge falsch, sie begingen im LSD-Rausch Verbrechen oder begingen Suizid. Die Behörden waren entsetzt. Ende der 60er Jahre wurde die Droge in den USA verboten. In Deutschland ist LSD seit dem Jahr 1971 illegal.
Hofmann starb am 29. April 2008 in der Schweiz im Alter von 102 Jahren. Zeit seines Lebens trug Hofmann dazu bei, LSD zu mystifizieren. In Interviews bestritt er, die Droge gezielt erschaffen zu haben: „Das LSD hat mich gerufen, ich habe es nicht gesucht.“