Der Mediziner schaut dem Mädchen gern beim Spielen zu. Die kleine Frieda erkundet den Körper eines Teddybären und verpasst ihm eine Spritze. Reinald Repp sitzt neben ihr in einem Spielzimmer des Klinikums Fulda und beobachtet Europas jüngstes Frühchen mit stiller Freude. Immer wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Etwa wenn Frieda ein Organ aus dem Medizin-Kuscheltier herauszieht.
Was er bei Friedas Anblick empfindet? Der Direktor der Fuldaer Klinik für Kinder– und Jugendmedizin sagt: „Dass wir das erleben dürfen, erfüllt mein Team und mich mit tiefer Dankbarkeit. Es grenzt nach wie vor an ein Wunder, dass sie so gesund und munter ist.“ Frieda wirkt zwar wie ein normales Mädchen. Aber ihre Lebensgeschichte ist außergewöhnlich.
Frieda wog weniger als zwei Päckchen Butter
Frieda kam im November 2010 als Europas jüngstes Frühchen zur Welt. Statistisch hatte sie eine bescheidene Überlebenschance. Normale Schwangerschaften dauern 40 Wochen. Aber Frieda wurde bereits nach 21 Wochen und fünf Tagen entbunden. Sie war 26 Zentimeter groß und wog 460 Gramm – weniger als zwei Päckchen Butter. „Bis heute gibt es in Europa laut der Forschungsliteratur kein jüngeres Frühchen als Frieda“, bestätigt Repp. In den USA sei ein Kind 2014 noch einen Tag früher zur Welt gekommen.
Solche extrem unreifen Kinder sind kaum lebens- und entwicklungsfähig. Friedas Geburt galt bereits als außergewöhnlich. Und mit einem gesunden Aufwachsen rechneten selbst die größten Optimisten nicht. Aber die Kleine hat den Sprung ins Leben gemeistert. „Frieda geht’s gut“, sagt Mutter Yvonne. „Sie ist ein aufgewecktes und fröhliches Kind, das uns viel Freude macht.“
Anfang November feierte Frieda ihren achten Geburtstag. „Ich habe eine Werkbank mit richtigem Werkzeug bekommen“, erzählt sie, „und Puppenkleider, eine Schultafel und noch mehr.“ In die Schule geht Frieda seit dem Spätsommer. „Die Schule macht Spaß. Ich liebe den Sportunterricht“, sagt sie und turnt wenig später über ein Klettergerüst im Spielraum der Klinik.
Frieda fährt Inliner, im Winter Ski und flitzt auf Schlittschuhen übers Eis. Auch das Seepferdchen habe sie geschafft. „Für solch ein kleines Kind hat sie viel Kraft. Und einen starken Willen hat sie auch“, sagt die Mutter.
Frieda hat Mühe, ruhig zu sitzen
Frieda wiegt zurzeit knapp 17 Kilogramm und misst 115 Zentimeter. „Damit ist sie leicht unter der Normalgrenze“, urteilt Repp. Große gesundheitliche Probleme gebe es nicht, aber Besonderheiten. In der Schule bereite es ihr Mühe, still sitzen und konzentriert zu bleiben, sagt die Mutter. Doch sprachlich, sozial und intellektuell bringe sie alles mit, ergänzt Repp.
Wenn Frieda nach der Schule heimkommt, sei das Essen zuweilen mühsam, sagt die Mutter. „Sie isst wenig. Lange Zeit war Essen lästige Pflicht für sie.“ Mit Deftigem könne sie ihrem Kind eine Freude machen. „Sie isst gern Bratwurst mit Rotkraut.“
Ess- und Aufmerksamkeitsprobleme sind nichts im Gegensatz dazu, was extrem unreifen Frühchen sonst droht. Lunge, Darm, Gehirn und Netzhaut können geschädigt sein. Es drohen Hirnblutungen und bleibende Behinderungen. „Aber die Medizin macht immer weiter Fortschritte, so dass die Chancen für Frühchen steigen“, sagt Repp.
Prognosen für Frieda aufzustellen, ist allerdings schwierig. Die Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin erklärt, verlässliche Aussagen etwa über die Bedingungen für eine Schullaufbahn könnten nicht getroffen werden.
Extrem junge Frühchen kommen in Deutschland immer wieder zur Welt. Die kleine Paulina Emily wurde 2011 in Greifswald in der 23. Schwangerschaftswoche mit 490 Gramm und 27 Zentimetern geboren. In Rostock kam im selben Jahr ein Kind in der 23. Woche mit 33 Zentimetern und 650 Gramm zur Welt. In Dortmund überlebte ein Baby mit einem Geburtsgewicht von lediglich 280 Gramm. Und das Klinikum Fulda hat derzeit einen Jungen auf der Station, der seine Entbindung nach genau 22 Wochen überlebte, mit einer nur um zwei Tage längeren Schwangerschaftsdauer als bei Frieda.
Friedas Bruder überlebte allerdings nicht. Mutter Yvonne war mit Zwillingen schwanger. Der kleine Kilian starb sechs Wochen nach der Entbindung an Herz- und Darmproblemen. Frieda schaffte es, weil sie weniger Komplikationen in der ersten, fragilen Phase des Lebens hatte, begründet Repp. Seine Beobachtung mit dem Frühstart ins Leben: „Nicht alles ist erklärbar. Es fehlen Langzeit-Beobachtungen in der Forschung. Daher scheint vieles schicksalhaft. Im Fall von Frieda hat es das Schicksal gut gemeint.“
Das bewegende erste Jahr eines… Zeitraffer „Ward Miles – First… (2073756)