Das Fernweh schlich sich langsam in die Herzen. Durch Lieder wie „Capri-Fischer“ und Filme, in denen „O sole mio“ gesungen wurde – mal von Matrosen in der Blauen Grotte, mal von Wiener Schauspielern, die als Neapolitaner verkleidet waren. Die Deutschen begannen, von Italien zu träumen: von Sonne statt Regen, Dolce Vita statt Maloche, Rimini statt Bottrop. Und weil solche Träume nicht ohne Folgen bleiben, brachen viele Bundesbürger in den Sechzigern auf in den Süden. Hinter ihnen der Alltag, vor ihnen der Brenner und das gelobte Land: Italien.
Sie wollten selbst sehen, wie es ist, wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt. Die nur zehn Quadratkilometer große Insel im Golf von Neapel wurde zum Inbegriff des Glücks. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war an Reisen kaum zu denken gewesen. Deutschland lag in Trümmern Trümmern, die Menschen waren damit beschäftigt, sich eine Existenz aufzubauen. Es fehlte Zeit, Geld und innere Bereitschaft, zu genießen. Nur einige Kinder fuhren in den Sommerferien zu Verwandten und Freunden aufs Land.
Doch schon in den 50er Jahren ging es langsam aufwärts. Zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der Bahn (dritte Klasse) machten sich die Deutschen auf: an die Nord- und Ostsee, in den Schwarzwald und die bayerischen Berge. Oft nur eine Woche, übernachtet wurde in Zelten oder in Jugendherbergen. Der Urlaub diente der Erholung, schließlich arbeitete man noch sechs Tage die Woche.
Urlaub als Statussymbol
Das änderte sich in den 60er Jahren. Das Wirtschaftswunder spülte Geld in die Haushaltskassen, die Gewerkschaften kämpften erfolgreich für mehr Urlaub und Freizeit; die Arbeitswoche wurde auf fünf Tage verkürzt. Die Deutschen wollten sich nach den entbehrungsreichen Jahren endlich etwas gönnen: einen Fernseher, einen Urlaub, ein Auto, um in den Urlaub zu fahren. Dann wohnten sie in Pensionen oder Fremdenzimmern. Sie wollten etwas Besonderes erleben – und Freunden an Dia-Abenden davon berichten. Urlaub wurde ein Statussymbol.
Der Strom ans Meer und in die Berge nahm bald zu: Verreisten 1960 noch rund 13 Millionen Westdeutsche, waren es ein Jahr später schon drei Millionen mehr. Zwei Drittel der Bundesbürger machten noch Urlaub im eigenen Land. Wer es weiter in den Süden schaffte, suchte Sonne und Strand, mediterrane Leichtigkeit und einen Hauch Exotik. Gerade genug und nicht zu viel, schließlich traute man sich noch nicht in die große weite Welt, das kam später.
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Für Tipps aller Art waren die Urlauber dankbar. „Lassen Sie Ihre Kinder nicht an der Tankstelle stehen!“, empfahl die Fernsehsendung „Der 7. Sinn“ den Zuschauern. Auch der sternentdeckte das Reisen: „Urlaub – Liebe inbegriffen“, titelte er 1960 heißblütig, auf dem Cover drei Frauen im Bikini. In den Jahren darauf folgten Titelgeschichten wie „Urlaub, aber wohin?“ oder „Bootsurlaub: Das ganz große Vergnügen“. Die Bilder wurden freizügiger. Als der stern sich 1969 dem Thema „Wohin Sie im Urlaub nicht fahren sollten“ widmete, zeigte das Cover eine nackte Frau, die im Sand kniete.
Die Pauschalreise etabliert sich
In den Siebzigern etablierte sich eine deutsche Spezialität: die Pauschalreise. Der Flugverkehr wurde ausgebaut. Die Bundesbürger fuhren in andere Urlaubsländer, Spanien löste Italien als Traumziel ab: Mallorca, die Costa Brava, die Costa del Sol mit ihren Hotelburgen aus Beton. In den Achtzigern wurden weitere Zielgruppen entdeckt, nicht mehr nur die Familien, sondern auch Singles und Jugendliche.
Als 1989 die Mauer fiel, schwappte eine neue Reisewelle über die ehemalige Grenze. Viele Ostdeutsche erkundeten den Westen, viele Westdeutsche den Osten. Seit der Jahrtausendwende schließlich spielt die gefühlte Sicherheit bei der Urlaubsplanung eine wichtige Rolle. Und Instagram lässt die alte Dia-Show digital auferstehen.
Heute ist Reisen für viele selbstverständlich. Der Massentourismus jedoch belastet die Umwelt, überschwemmt Sehenswürdigkeiten. Beliebte Ziele wie Mallorca oder Venedig arbeiten an Konzepten, um die Zahl der Besucher zu senken. Der stern wird weiterhin darüber berichten, genau wie über Urlaubstrends oder kaum bekannte Traumziele. Auch wenn die in keinem Lied besungen werden.
Quelle:stern.de