Sie steht in der Schlange, angetrunken von Gin Tonic und ein paar Weg-Bier. Ihre Beine sind zittrig und müde – ob von einer langen Uni-Woche oder dem Alkohol weiß sie selbst nicht. Aus dem Club dröhnt laute Musik, junge Leute, tolle Stimmung. Ihr wird ein Star-Wars Stempel aufgedrückt. Endlich kann es losgehen, für ein paar Stunden das Leben genießen. Ein kurzer Besuch auf der Toilette mit der Frage, ob aus dem guten Abend ein noch besserer werden soll. Schneller, länger, extremer.
Nur Drogen können die Wirkung noch maximieren. Können genau diese Party zur Besten ihres Lebens machen. Können sie stundenlang wach halten, die Umgebung intensivieren. Um jeden Preis Höchstleistung bringen. Bloß nicht langweilig sein, bloß nicht müde werden. Die Freizeit im Schnelldurchlauf erleben, eigene Grenzen überschreiten, eine Garantie für einen spektakulären Abend haben. Nein, als Mona* die Pille schluckt, denkt sie nicht an die Tage danach. Nicht in diesem Moment. Nicht, wenn alles so schön werden kann.
Die Hälfte der Clubbesucher nimmt Ecstasy und Amphetamine
Eine Nacht wie diese kennen viele. Jung und alt, Studenten und Arbeitnehmer. Dass Drogen auf Festivals und in Partynächten vorkommen, ist bekannt. Dass sie inzwischen zu einem festen Bestandteil einer nach Leistung strebenden Gesellschaft gehören, nicht. Der Wunsch nach konstanter Höchstleistung findet sich zunehmend auch in unserem Freizeitverhalten wieder – das geht für viele nur mit Drogen. Heute geht es nicht mehr nur darum, einen schönen Abend zu haben. Nein, der Abend muss der beste werden.
Laut einer Studie der Stadt Berlin nimmt die Hälfte der Clubbesucher Ecstasy und Amphetamine, ein Drittel konsumiert Koks und Ketamin. Das Einstiegsalter der Konsumenten liegt deutlich unter dem achtzehnten Lebensjahr. Warum das so ist und in welcher Form sich die Drogenszene verändert, erklärt Kerstin Jüngling von der Berliner Fachstelle für Suchtprävention.Drogen_17.10Kerstin Jüngling sieht mit Schrecken, mit welcher Normalität Drogen konsumiert werden. Neuroenhancement, der Versuch, eine bestimmte Stimmung und Körperverfassung zu steigern, ist in Clubs gang und gäbe. Mit ihrem Team hat Jüngling die Partygänger in den Schlangen der Berliner Clubs befragt: Schon dort wissen 33-40 Prozent, dass sie Drogen konsumieren werden – Ecstasy, Speed, Ketamin oder Koks. Sie bekommen die Drogen bei Dealern – an Bahnhöfen, in Clubs, auf den Toiletten. Wer jetzt denkt, das ist nur in den großen Städten so, täuscht sich. Auch auf dem Land herrscht ein Drogenproblem. Auch dort gilt: Wer gut drauf ist, macht mit. Generell dreht sich das Rad schneller – überall.
Viel Stoff für wenig Geld
Jüngling erklärt, dass Ecstasy und Co. heute nicht mehr in Tablettenform, sondern als „3D-Applikationen“ zu finden sind. So eine Applikation kann in den verschiedensten Formen vorkommen, z. B. als „Hello Kitty Kopf“. Durch die dreidimensionale Form sind die Pillen deutlich größer und schwerer. Sie bestehen zum Großteil aus MDMA, einem Amphetamin, welches positive, sowie negative Stimmungen verstärken kann. Die Droge verleiht eine emotionale Nähe zu anderen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. „Der Dealer verdient mit einem Hello Kitty Kopf mehr, der Konsument bekommt mehr und konsumiert letztendlich auch mehr. Das gleiche Spiel, wie in unserer deutschen Gesellschaft: Wir wollen möglichst viel für kleines Geld“, so die Expertin.
Drogen-ABC Legal Highs Badesalz 20.50hAuch neue psychoaktive Substanzen gehören dazu. Unter dem Namen NPS bekannt, handelt es sich hierbei um künstlich hergestellte Amphetamine und Cannabinoide, erklärt Jüngling. Sie sind in Onlineshops erhältlich und werden dort als „Legal Highs“ verkauft – oft als Badesalze und Kräutermischungen gekennzeichnet. Mit harmlosen Kräutermischungen haben sie aber rein gar nichts zu tun. Die labortechnisch hergestellten Drogen sind stärker als die herkömmlichen.
Wer Amphetamine nimmt, kann mehr trinken – und an einer Alkoholvergiftung sterben
Mona steht in der Toiletten-Schlange. Es ist vier Uhr. Sie ist atemlos, ihr Hals ist trocken. Sie hat das Gefühl, ihr ganzer Körper pulsiert. Als würden die Bässe tief in ihr sitzen, die Musik nie aufhören. Sie hat das Bedürfnis, ihr Shirt auszuziehen. Findet denn niemand anderes es so unerträglich heiß wie sie? Zittrig kramt sie in ihrer Tasche nach einem Kaugummi, ihr Mund ist schon ganz taub. „Das wird gleich wieder“, beruhigt sie sich selbst. Das Mädchen vor ihr dreht sich um. Guckt sie an, mit großen Pupillen und einer schweißnassen Stirn. Bietet ihr einen Schluck Bier an, den sie gierig annimmt. Mona kann nur daran denken, dass sie sich allen nah fühlt. Dass der Abend nie zu Ende sein darf.
Solche Nächte können gefährlich werden. Die Expertin erklärt, dass alle aufputschenden Drogen ein ähnliches Risiko darstellen. Während des Konsums dehydrieren die Konsumenten durch das Tanzen, starkes Schwitzen und ein unterdrücktes Durstgefühl. Der Blutdruck geht in die Höhe, der Schlaf-Wach-Rhythmus wird gestört. Der Mensch wird aktiver und wacher. Beim Tanzen kommt oft ein Stressfaktor hinzu. Laute Musik und viele Menschen können schnell überwältigend wirken. Das, in Kombination mit zu wenig Wasser, kann zur Gefahr werden. „Irgendwann merkt der Körper, dass es so nicht mehr geht. Das System Mensch ist überdreht, geht seinen natürlichen Bedürfnissen nicht nach“, erklärt Jüngling. Auch hier wird deutlich: In einer Gesellschaft, die nach konstanter Höchstleistung strebt, ist der Körper der große Unsicherheitsfaktor. Durchhalten ist oberste Priorität, Ruhe und Erholung werden zweitrangig. Da gibt der Körper irgendwann nach.
Alkohol Studenten 19:00Auch Alkohol wird weiterhin konsumiert, jedoch nur von den wenigsten als Droge gesehen. Er ist legal, überall erhältlich, sozial akzeptiert. Im Gegensatz zu Pillen sind die Inhaltsstoffe zwar bekannt, trotzdem bezeichnet Kerstin Jüngling ihn als nicht weniger gefährlich: „Für viele gehört Alkohol inzwischen schon so dazu, wie Wasser es tut“, bedauert sie. Die Gefahr liegt jedoch in der Mischung, die das Fass zum Überlaufen bringt. Viele Cocktails, wenig gegessen, lange wach: Irgendwann macht der Körper nicht mehr mit.
„Die Partyszene ändert sich genau so, wie sich die Gesellschaft ändert“
Die Zeit vergeht wie im Flug. Drei Stunden hat Mona durchgetanzt. Dumpfe Elektro-Beats, harter Techno. Ihr Pony klebt an ihrer Stirn. Ihre Schminke ist schon lange nicht mehr dort, wo sie sein sollte. Langsam lässt die Wirkung nach, langsam merkt sie, wie müde ihre Beine sind. Draußen zwitschern die Vögel im Morgengrauen, als sie sich auf eine Bank fallen lässt. Mona will mehr: weiterfeiern, wach bleiben, sich gut fühlen, den Stress vergessen, jung sein. Sie legt nach. Einen zusammengerollten Schein, die glatte Handyoberfläche und eine EC-Karte immer zur Hand. Vom Speed verspricht sie sich die perfekte Wirkung – etwas länger durchhalten.
Kerstin Jüngling sieht die Konsumveränderung als weit verbreitetes Phänomen: „Die Partyszene ändert sich genau so, wie die Gesellschaft sich ändert. Alles ist höher gedreht. Es reicht nicht mehr drei Cocktails zu trinken. Es gehört schon fast zum guten Ton, Drogen beim Ausgehen zu nehmen.“ Unter der Woche muss volle Leistung in Beruf, Studium und Schule gebracht werden. Diese Erwartungen an die Funktionalität sieht Jüngling auch beim Ausgehen: schnell, voll und reichlich.
MDMA 15.30Mehr als 24 Stunden in einen Club zu gehen ist einfacher mit Speed, als mit Alkohol, denn nur so hält man durch. Auch Generation Y, all diejenigen, die heute zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, weiß das. „Wir sind ein Durchhaltevolk. Eine Gesellschaft die suggeriert, immer ganz oben auf dem Leistungsniveau sein zu müssen“, sagt Jüngling.
„Wir optimieren uns zugrunde – auch beim Ausgehen“
Leistung um jeden Preis hat sich durchgesetzt: „Alles muss heutzutage optimiert werden. So auch das Freizeitverhalten. Wir optimieren uns zugrunde“, so die Expertin. Eine Art Maschine machen die Substanzen aus den Konsumenten. „Keiner darf über Gefühle reden, entspannen, nichts tun. Pausen sind gesamtgesellschaftlich negativ konnotiert“, bedauert sie. Die psychische Suchtgefahr bei aufputschenden Drogen ist extrem hoch.
Wie automatisch tragen ihre Beine sie. Sie tanzt, sie trinkt, sie flirtet und sie funktioniert. Mittlerweile ist es mittags. Bloß nicht müde werden. Bloß nicht nachlassen. Eigentlich will sie nicht mehr. Eigentlich hat sie genug. Aber dieser Abend kennt keine Grenzen. Dieser Abend könnte der beste ihres Lebens sein. Atemlos zieht sie noch eine Line.
Drogen HilfeWie viel Rausch jemand will und was ihm gut tut, spielt, laut Jüngling, so gut wie keine Rolle mehr. „Für viele herrscht eine konstante Atemlosigkeit, die man gefühlsmäßig manchmal kaum anders geregelt bekommt als mit Drogen“, sagt sie. Doch die Expertin kommt nicht umhin, zu erwähnen, dass die Politik hingucken muss: Was ist los mit unseren Menschen? Wollen wir uns wirklich zugrunde optimieren? Was wäre, wenn der Druck weniger würde? Ein Anfang ist hier sicherlich mit „Drug Checking“ und Konsumkompetenz getan. Dabei geht es darum, die Drogen auf ihre Inhaltsstoffe testen zu lassen und verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen. Doch damit ist weder besprochen, noch reflektiert, was die Motive der jungen Leute sind. Was Drogen zur Normalität einer Generation werden lässt. „Über unser Leben und welches Bild wir vermitteln muss gesprochen werden“, sagt Jüngling.
Am Abend sitzt sie in der U-Bahn. Müde fühlt sie sich nicht, ihre Beine zittern dennoch. Von ihrem Spiegelbild im Fenster dreht sie sich lieber weg. Der kritische Blick der Dame ihr gegenüber lastet wie Blei auf ihr. Zuhause trinkt sie Wasser. Einen Liter. Essen bekommt sie keins runter. Dann liegt sie mit offenen Augen im Bett, kann nicht schlafen. Ihre Freunde haben noch etwas Gras geraucht. Sie nicht. Stattdessen fühlt sie sich müde, ausgelaugt und schwach. Alles für die vermeintlich beste Nacht ihres Lebens.
13% der Menschen haben Kokain an den Händen, ohne jemals welches genommen zu 20.45
*Name wurde für den Artikel geändert