Wie in „Dr. House“: Seltene Leiden, rätselhafte Symptome – diese Ärzte arbeiten wie Detektive

Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen, Uniklinikum Marburg

Zur Begrüßung nehmen sie sich in den Arm – der Maurermeister mit den wasserblauen Augen und der Professor im weißen Kittel. Sie haben viel miteinander erlebt. Hier treffen sich: ein ehemals Todgeweihter und sein Lebensretter. Der Professor heißt Jürgen Schäfer, der Maurermeister und Bauunternehmer Dieter Kleinschnieder. Er ist zur Ultraschalluntersuchung gekommen. Schäfer blickt auf den Bildschirm. „Ihr Herz schlägt erfreulicherweise etwas besser“, sagt er.E1

Kein Vergleich zu damals. Als Schäfer den Patienten das erste Mal auf der Station traf, ging es dem 55-Jährigen miserabel. Sein Herz war so schwach, dass Ärzte über eine Transplantation diskutierten. Immer wieder wütete Fieber in seinem Körper. Warum? Niemand wusste es. Kleinschnieder sah immer schlechter und hörte immer schlechter. Monatelang hatten Mediziner nach der Ursache gesucht – ohne Erfolg.

Seine letzte Hoffnung war Jürgen Schäfer. Verzweifelte Patienten mit rätselhaften Beschwerden sind dessen Spezialgebiet. Schäfer ist Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen am Uniklinikum Marburg. „Selten“ bedeutet: Auf 10.000 Menschen kommen fünf Fälle. Es gibt rund 8000 solcher seltenen Erkrankungen, die kein Arzt alle kennen kann. Den richtigen Spezialisten zu finden ist für den Patienten dann sehr schwer. In der Summe leiden mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland an solchen Krankheiten.

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Schäfer erinnerte sich an eine Folge der amerikanischen Kultserie „Dr. House“

Checkliste Der engagierte ArztJürgen Schäfer und sein Team forschen mit detektivischem Spürsinn und großer Hartnäckigkeit nach den Gründen unerklärlicher Leiden. Der Professor hatte sich als Erstes Kleinschnieders Krankengeschichte und die Befunde angeschaut. „Das sieht eher wie eine Vergiftung aus“, sagte er zu Kollegen, die eine Virusinfektion vermuteten. Doch erst Kleinschnieders Exfrau, die am Bett des Patienten saß, gab Schäfer den entscheidenden Hinweis: „Alles fing an, als Dieter die neue Hüfte bekommen hat.“ Schäfer erinnerte sich an eine Folge der amerikanischen Kultserie „Dr. House“, in der eine Frau durch den Metallabrieb ihrer Hüftprothese vergiftet worden war. Konnte das die Ursache für die Leiden des Maurers sein? Schäfer ließ die Metallwerte in dessen Blut bestimmen. Ergebnis: Kobaltvergiftung. Metallpartikel hatten Kleinschnieders Körper verseucht.D2

Die ungewöhnliche Vergiftung war einer der Fälle, die Woche für Woche in der stern-Rubrik „Die Diagnose“ geschildert werden. Mediziner stellen dort ihre Suche nach den Ursachen für die Beschwerden ihrer Patienten vor. Nun sind die 80 spannendsten Krankengeschichten als Buch erschienen. Längst nicht immer sind es Professoren oder andere Koryphäen, die einer Krankheit auf die Schliche kommen. Häufig erweisen sich ganz normale niedergelassene Ärzte als Medizin-Detektive. Die wahren Schicksale zeigen: Der Fall mag noch so mysteriös erscheinen – es lohnt sich trotzdem, jede Spur zu verfolgen.

Teaser Buch DiagnoseEs gibt viele Mediziner, die sich nicht mit der erstbesten Erklärung für Erkrankungen zufriedengeben. Menschen, die geduldig so lange weiterforschen, nachfragen und nicht Ruhe geben, bis sie wissen, was einem Patienten fehlt. Ärzte, wie sie sich jeder Kranke wünscht. Ohne die Kenntnis und die Beharrlichkeit von Professor Schäfer wäre sein Patient Kleinschnieder, der heute 60 ist, vermutlich gestorben. Das Rätsel um die Ursache der Beschwerden wäre wohl nie gelöst worden.

Eineinhalb Jahre vor der ersten Begegnung mit Schäfer war bei einem Sturz Kleinschnieders künstliches Hüftgelenk aus Keramik zerborsten. Beim Austausch der Prothese hatten Orthopäden in einer Klinik in Westfalen einen neuen Prothesenkopf aus Metall eingebaut. Aber: Die Ärzte konnten nicht alle Keramiksplitter aus der Hüfte entfernen. Die Splitter rieben den neuen Metallkopf ab wie Schmirgelpapier. „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt Schäfer. „Das ist leider Gottes ein schwerwiegender Behandlungsfehler.“ Sogar der Hersteller warne vor dem Einbau einer Metallprothese, wenn zuvor eine Keramikhüfte zerborsten sei. Das Bekanntwerden von Kleinschnieders Fall hat zahlreichen anderen Hüftpatienten in ganz Deutschland, denen das Gleiche widerfahren war, wohl das Leben gerettet. Sie erhielten Schadensersatzzahlungen von den jeweiligen Kliniken – nur der Maurermeister, dessen Geschichte anderen so geholfen hat, kämpft seit Jahren vor dem Landgericht Bielefeld um Schmerzensgeld und Lohnausgleich.

Vom Ausbruch bis zum ersten Expertenkontakt vergehen durchschnittlich 6,5 Jahre

Bundesweit gibt es 28 Zentren für seltene Erkrankungen oder Menschen ohne Diagnose. Die Statistik des Bonner Zentrums etwa zeigt, wie lang der Leidensweg der Erkrankten ist: Vom Ausbruch der Symptome bis zum ersten Kontakt mit den Experten vergehen durchschnittlich 6,5 Jahre. Die Patienten suchen in der Zeit etwa zehn Ärzte auf, erhalten durchschnittlich zwei bis drei Fehldiagnosen und lassen zwei bis drei operative Eingriffe über sich ergehen.

In den Schränken von Jürgen Schäfers Abteilung stapeln sich mehr als 7000 Akten mit Anfragen. Die Wartezeit beträgt oft Jahre. „Jede Akte ist ein Schicksal, das bereitet mir schlaflose Nächte“, sagt er. Aber es gibt eine ganz klare Priorisierung, wer wie schnell drankommt: Anfragen aus dem Marburger Uniklinikum werden zuerst bearbeitet, dann die von niedergelassenen Ärzten aus der Gegend, danach jene von anderen Unikliniken.D3

Was sind Schäfers Geheimwaffen? Anamnese – Zeit – Teamarbeit. „Die Erfragung der Krankengeschichte ist trotz aller Hightech-Medizin nach wie vor das allerwichtigste Instrument für die Diagnosefindung. Die dauert hier auch mal zwei bis drei Stunden“, sagt der 61-Jährige. „Jedes Detail kann wichtig sein, nichts darf vergessen werden.“ Um die richtige Diagnose zu stellen, brauchen Ärzte Zeit. Aber die ist ein rares Gut im durchgetakteten Arbeitsalltag eines Mediziners.

Der dritte Erfolgsfaktor ist Teamarbeit. In Marburg trifft sich jede Woche dienstags eine Runde von Medizinern unterschiedlichster Fachrichtungen zum „Gedanken-Pingpong“: Allgemeinärzte, Internisten, ein Radiologe, ein Pharmakologe, ein Labormediziner, eine Psychosomatikerin, ein Onkologe, ein Rheumatologe. „Jeder von ihnen denkt um die Ecke“, erklärt Jürgen Schäfer.

Manchmal haben auch Patienten, die nicht in Marburg und Umgebung wohnen, Glück: so wie die Frau, die scheinbar aus dem Nichts jahrelang depressive Episoden erlebte und psychiatrisch behandelt wurde. Sie war verzweifelt und fuhr mit ihrem Mann nach Marburg. Der versuchte, abends die Krankenakte unter Schäfers Bürozimmertür hindurchzuschieben. Der war noch da und bat beide herein. Er fand heraus, dass die Frau nach der Geburt der Tochter eine Hormonspirale eingesetzt bekommen hatte – die Depressionen waren Nebenwirkungen des Verhütungsmittels.

„Ich habe 48 Kilo Gewicht verloren und bin manchmal einfach umgefallen“

Den Professor fasziniert, was manch andere Kollegen eher nervt: schwierige, langwierige Fälle. „Wir haben hier die kompliziertesten Patienten“, sagt er. „Die Menschen sind schwer krank und haben eine dicke Akte. Viele sind jahrelang hin und her gereicht worden und haben oftmals den Psycho-Stempel aufgedrückt bekommen, weil keiner etwas finden konnte.“

So erging es auch Stefan Böhm. 40 niedergelassene Ärzte hat er innerhalb von fünf Jahren aufgesucht, rund 400 Tage lag er stationär in zwölf verschiedenen Kliniken. Der 45-Jährige kommt an diesem Tag in Begleitung seiner Frau nach Marburg, um im Labor eine Stuhlprobe zur Kontrolle abzugeben. Er ist 1,92 Meter groß, trägt Holzfällerhemd und Bart.E2

Der Gärtner litt auf einmal an Symptomen wie Schwindel, Schwäche, Ausschlag, Entzündungen in Lymphknoten, Speicheldrüsen, Kiefer und Darm sowie an blutigen Durchfällen. „Ich habe 48 Kilo Gewicht verloren und bin manchmal einfach umgefallen“, erzählt er. Kein Arzt hatte den Auslöser entdecken können. Ein Psychologe in einer Klinik mutmaßte, er habe Probleme mit seiner Frau und suche „in Wirklichkeit Schutz im Krankenhaus“. „Eine Frechheit“, sagt Böhm. „Auch andere Ärzte haben mir signalisiert, ich hätte nicht alle Latten auf dem Zaun – nur weil sie die Ursache für die Entzündungen nicht finden konnten.“

Und dann, endlich, landete Böhm bei Schäfer. Im Gespräch erzählte er dem Professor nicht nur von seinen Beschwerden, sondern auch von seinem Hobby: Er züchtete Süßwassergarnelen. In Hochzeiten hatte er bis zu 30 Aquarien in der Wohnung. Schäfer wurde hellhörig. Böhms Symptome passten zu einer Tropenkrankheit: Bilharziose. Die Erkrankung wird ausgelöst, wenn sich in fernen Ländern beim Baden bestimmte Süßwasserlarven durch die Haut bohren und in den Blutgefäßen der Darmwand festsetzen. Die Eier der erwachsenen Würmer durchstoßen mit einem Stachel die Darmwand oder lagern sich in den Muskeln ein. Symptome sind unter anderem schwere Durchfälle und Entzündungen. Ohne Behandlung kann die Erkrankung tödlich enden.

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Nur: Böhm war nie in den Tropen gewesen. Und zwei andere Kliniken, die zuvor den Stuhlgang nach Eiern des Erregers untersucht hatten, hatten nichts gefunden. Schäfer ließ sich von seinem Patienten den Handelsweg der Garnelen beschreiben: Sie werden aus Übersee in Behältern mit Süßwasser und Pflanzen angeliefert. Konnte Böhm sich in Deutschland infiziert haben?

Im Wasser musste eine infizierte Posthornschnecke gewesen sein 

Tatsächlich: Den Experten im Marburger Labor gelang zunächst der Nachweis von DNA des Erregers in Böhms Stuhlproben. Als der ägyptische Tierarzt und Parasitologe Hosam Shams-Eldin zwei Tage lang den Stuhl unter dem Mikroskop analysierte, fand er schließlich ein Ei des Erregers. Nun war klar: Im Wasser einer Garnelenlieferung musste eine infizierte Posthornschnecke gewesen sein – sie ist der Wirt für die Erregerlarven, Böhm hatte sich beim Hantieren in den Aquarien angesteckt. Er bekam Medikamente, nach und nach ging es ihm besser. Der Schwindel blieb aber, auch die Schwäche und ein Teil der Schmerzen – heute ist er arbeitsunfähig. „Ich bin dem Professor unendlich dankbar“, sagt Böhm. „Er hat mir das Leben gerettet. Seine Diagnose hat gezeigt, dass ich sehr wohl alle Latten auf dem Zaun hatte.“D6

Noch vor ein paar Jahrzehnten galt es als großer Fortschritt der Medizin, anzuerkennen, dass seelisches Leid körperliche Symptome hervorrufen kann. Doch inzwischen droht „psychosomatisch“ zur Verlegenheitsdiagnose zu werden, die eher Ratlosigkeit denn ganzheitliches Denken ausdrückt. Bei 2,2 Millionen Menschen in Deutschland wurde eine „somatoforme Störung“ festgestellt, so eine Studie des Robert-Koch-Instituts. Doch hinter vielen vermeintlich „typisch“ seelisch verursachten Leiden wie Magengeschwür, Neurodermitis oder Asthma verbergen sich handfeste körperliche Ursachen. Stress begünstigt oft diese Erkrankungen, löst sie allein aber nicht aus.

Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin, Uniklinikum Leipzig

Der Mann, der an diesem Mittwoch Christoph Lübberts detektivischen Spürsinn weckt, trägt ein beigefarbenes Polohemd, Jeans und eine Ledermappe mit seinen Unterlagen unterm Arm. Zwei Stunden ist er mit dem Auto nach Leipzig gefahren, um Lübberts Rat einzuholen. Der Arzt leitet die Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, der neue Patient, ein Mittfünfziger, fasst seine Leidensgeschichte zusammen. „Seit zehn Jahren habe ich Kopfschmerzen und Schwindel. Viele Jahre lang hatte ich dazu noch starke Bauchschmerzen und Durchfälle“, sagt er. Lübbert beugt sich nach vorn. Wann trat das das erste Mal auf? Nach einer Feier. Haben Sie Fernreisen gemacht? Nein. Haben Sie Tiere? Ja, ein paar Schafe.

Nach der Untersuchung sagt der Arzt: „Wir müssen zwei Sachen aus infektiologischer Sicht bei Ihnen ausschließen: Morbus Whipple, eine Infektionskrankheit, die sich im Darm ansiedelt, aber auch das Gehirn betreffen kann. Und das Q-Fieber, eine Erkrankung, die von Zecken oder über Schafskot übertragen wird. Es ist eine der wenigen Infektionskrankheiten, die chronisch verlaufen können.“ Für die weitere Diagnostik soll der Patient ein paar Tage auf die Station kommen: Punktion des Nervenwassers, Biopsie aus dem Zwölffingerdarm.D7

Lübbert, der in vielen Ländern gearbeitet hat, kennt sich mit den exotischsten Leiden aus: Zika-Virus, Dengue-Fieber, Malaria. In Leipzig kooperiert er eng mit anderen Abteilungen. „Wir sind ein Team von Leuten, die Fantasie haben und bei ungewöhnlichen Beschwerden auch an Krankheiten denken, die außerhalb des Alltäglichen liegen“, sagt er.D8

Fachwissen, Erfahrung und Neugier – mit dieser Mischung haben Lübbert und seine Kollegen die vertracktesten Rätsel gelöst: etwa das des Mannes mit den seltsamen rötlichen Hautflecken – eines Südamerikaners, der schon Jahre in Deutschland lebte. Mehrere Hautärzte behandelten ihn mit Salben, aber die halfen nicht. „Bei der Untersuchung fiel ein verdickter Nerv auf, und der Mann erzählte, dass die Flecken manchmal kribbelten“, sagt Lübbert. „Da hat es bei mir geklingelt.“ Die Kombination aus Migrationshintergrund, Hautflecken, Nervenveränderung und Sensibilitätsstörungen ergaben die Lösung: Lepra. In einigen Teilen der Welt gibt es die Krankheit noch. Der Mann konnte gut mit speziellen Medikamenten therapiert werden.

Sie zogen Moltontücher durch Gras und Büsche, 48 Zeckenlarven blieben daran haften

Ein anderer Fall ereignete sich fast vor Lübberts Haustür. Eine junge Frau, die in die Ambulanz kam, hatte massive Lymphknotenschwellungen in der Achsel, nachdem zuvor eine Wunde am Finger schwer zugeheilt war. Letztlich kam heraus, dass sie von einer speziellen Zeckenart in die Hand gestochen und mit einem seltenen Erreger infiziert worden war: Sie hatte die Hasenpest. Passiert war das Ganze auf dem Land, am Rande eines Fußballplatzes, als sie im Gras gelegen und ihrem Freund bei einem Spiel zugeschaut hatte. Lübbert und seine Kollegen fuhren zu dem Dorf und gingen auf Zeckenjagd: Sie zogen Moltontücher durch Gras und Büsche, 48 Zeckenlarven blieben daran haften. Jede einzelne wurde untersucht und der Dorfbevölkerung Blut abgenommen, um zu prüfen, ob noch mehr der speziellen Erreger zu finden waren. Keine andere Zecke und keiner der Dorfbewohner war damit infiziert. Als der Bürgermeister die Forscher mit Handschlag verabschiedete, sahen sie auf seinem Unterschenkel eine ausgeprägte Wanderröte, Zeichen eines frischen Zeckenstichs. Doch dies war nicht die Hasenpest: Der Mann hatte eine Borreliose – gut zu behandeln und zuverlässig heilbar.E3

Deutsches Schwindelzentrum, Uniklinikum München, Campus Großhadern

Der genaue Blick und das aufmerksame Zuhören sind unerlässlich für die Diagnosefindung, aber manchmal eben auch Hightech-Untersuchungen. Von der viel gescholtenen Apparatemedizin profitieren manche Patienten enorm – sofern die Technik besonnen eingesetzt wird. Orthoptik, Kalorik, Posturographie, Video-HIT – von solchen Methoden hatte Augustinus Linsenmeier, 61, noch nie etwas gehört. Um 9.15 Uhr sitzt er in einem Untersuchungszimmer des Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrums in München und erzählt der Assistenzärztin Olympia Kremmyda seine Geschichte. Vor zwei Monaten sei er morgens aufgewacht, und alles um ihn herum habe geschwankt. Seitdem habe er täglich solche Attacken. Die Ärztin fragt ganz genau nach: Wann tritt der Schwindel auf? Wie oft? Und wie lange dauert er? Sie packt Linsenmeiers Kopf, ruckelt ihn nach links und rechts, nach oben und unten und blickt ihm in die Augen. „Alles, was das Gleichgewichtsorgan macht, kann man innerhalb von Sekunden an der Augenbewegung sehen“, erklärt sie. Sie testet die Reflexe, lässt Linsenmeier durchs Zimmer gehen, malt ihm mit dem Finger eine Ziffer auf die Stirn, die er erkennen muss. Die meisten der Untersuchungen sind für Linsenmeier neu, trotz vieler Arztbesuche zuvor.Neuer Inhalt

Schwindel ist nach Kopf- und Rückenschmerzen eines der häufigsten Volksleiden. Etwa 20 bis 30 Prozent aller Erwachsenen bekommen ihn mindestens einmal zu spüren. Das Gefühl kann das Leben der Betroffenen radikal verändern: Viele trauen sich kaum noch vor die Tür, aus Unsicherheit. Im Deutschen Schwindelzentrum suchen jährlich etwa 3600 Betroffene aus Deutschland und der ganzen Welt Hilfe. Rund 50 Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen befassen sich hier mit dem Phänomen. Sie kennen über hundert verschiedene Schwindelarten, zehn davon sind häufig. Das Problem: Schwindel ist kein eigenes Krankheitsbild, sondern ein Symptom – er kann Zeichen für ganz unterschiedliche Krankheiten sein. Nur: für welche?

Neun von zehn Patienten gehen mit einer klaren Diagnose nach Hause

Linsenmeier bekommt schließlich einen Laufzettel in die Hand gedrückt, den er abarbeiten muss: In der Orthoptik wird an einer Halbkugel mit Lichtpunkten überprüft, ob er senkrecht und schief unterscheiden kann. In der Kalorik werden seine Gehörgänge mit 44 Grad und 30 Grad warmem Wasser gespült; so wird die Funktion des Gleichgewichtsorgans getestet. Ist hier alles intakt, entsteht Schwindel. „Ich fahr Karussell“, ruft er.Neuer Inhalt (1)

11.15 Uhr, das Abschlussgespräch. Oberärztin Doreen Huppert muss den Patienten vertrösten – noch sind zwei Ursachen möglich. Weil Linsenmeier an Diabetes leidet und die Kollegin beim Test der Reflexe festgestellt hat, dass die Beinnerven nicht mehr zuverlässig funktionieren, kann es sein, dass der Schwindel bei Bodenunebenheiten auftritt, die der Patient nicht gut spürt. Oder aber dass er an Morbus Menière leidet, einer Erkrankung, bei der zu viel Flüssigkeit im Innenohr ist und deshalb ein Überdruck im Gleichgewichtsorgan herrscht. Linsenmeier soll beim Neurologen die Leitgeschwindigkeit seiner Nerven messen lassen. Morbus Menière kann man medikamentös behandeln.

Die allermeisten anderen Besucher der Ambulanz haben bereits am Ende des Tages Gewissheit: Neun von zehn Patienten gehen mit einer klaren Diagnose nach Hause. Für sie ist die Zeit der Unsicherheit vorbei – endlich.

Den ersten Fall aus der Rubrik „Die Diagnose“ können Sie hier nachlesen.

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