Herz, Psyche, Gelenke: Sportwissenschaftler verrät: So viel Bewegung brauchen wir, um gesund zu bleiben

Wie wichtig ist Sport beim Erhalt von Gesundheit?

Extrem. Unser Körper ist auf Bewegung ausgerichtet. Um gesund zu sein und zu bleiben, brauchen wir Bewegung. Ohne Bewegung ist Gesundheit überhaupt nicht denkbar. Weil dann unser Herz-Kreislaufsystem, unser Bewegungsapparat, unsere motorische Koordination überhaupt nicht funktionieren. Zum Beispiel wissen wir, dass Gelenke für ihre Versorgung den mechanischen Druck benötigen.

Wie viel Bewegung braucht man?

Sportwissenschaftler TeaserUm gesund zu bleiben, brauchen wir mindestens eine halbe Stunde Bewegung pro Tag. Bei zwei Stunden pro Woche – das entspricht ungefähr 1000 Kilokalorien, die man zusätzlich verbrennt – konnte in verschiedenen epidemiologischen Studien belegt werden, dass es relevante Gesundheitsgewinne gibt. Zum Beispiel kann der Anteil von Herzinfarkten hierdurch um etwa 25 Prozent reduziert werden. Wir haben in unserer eigenen Bad Schönborner Langzeitstudie zeigen können, dass Menschen, die durchgängig über zwanzig Jahre zwei Stunden Sport pro Woche betrieben haben, ein fünffach niedrigeres Risiko aufweisen am metabolischen Syndrom zu erkranken. Zwei Stunden sind, da sind wir uns inzwischen ziemlich sicher, die untere Grenze, um die Gesundheit zu erhalten.

Gibt es eine Obergrenze?

Ja, die Nutzenbeziehung zwischen Sport und Gesundheit ist nicht linear. Es gilt nicht, wer mehr tut, bekommt mehr. Die Studien legen nahe, dass der gesundheitsförderliche Effekt von Bewegung zwischen zwei und sieben Stunden pro Woche liegt. Wer mehr macht, kehrt den Effekt um und schadet seinem Körper. Das Risiko für Herzinfarkte steigt dann beispielsweise wieder an.

Das Interessante: Wer bisher nichts gemacht hat, profitiert am Anfang am meisten. Denn alles ist besser, als inaktiv auf der Couch zu sitzen. Mit geringem Aufwand können große Erfolge erzielt werden. Später muss man etwas mehr investieren.

Also man muss im Alter mehr tun, um den Stand zu halten?

Es gibt nicht die ewige Jugend, irgendwann verliert man an biologischer Leistungsfähigkeit. Der Rückgang beträgt in der zweiten Lebenshälfte etwa ein Prozent pro Lebensjahr – sowohl bei Trainierten als auch bei Untrainierten. Allerdings zeigen unsere Studien, dass die regelmäßig Aktiven im Vergleich zu inaktiven Personen gleichen Alters einen Zugewinn an Fitness erzielen können, der sie biologisch betrachtet jünger macht. In diesem Zusammenhang sprechen wir davon, dass es durchaus möglich ist, für 20 Jahre 60 zu bleiben. Eine aktive Person kann wirklich den gleichen Fitnesszustand wie eine 20 Jahre jüngere Person haben. Das ist ein entscheidender Faktor für die Lebensqualität. Außerdem geht es zum Beispiel um die Frage, ob und wann man pflegebedürftig wird.

Bis zu welchem Alter ist eine solch positive Wende möglich?

Da gibt es keine Grenze – jedes Alter ist gut. Wir haben aktuell eine Studie in 34 Altersheimen durchgeführt. Dabei waren die Teilnehmer im Durchschnitt 86 Jahre alt. Im Zeitraum von 16 Wochen wurde zwei Mal pro Woche für jeweils 90 Minuten trainiert. Ich wäre zufrieden gewesen, die Teilnehmenden hätten ihren körperlichen Zustand konserviert. Aber sie haben sich im Durchschnitt um zehn bis 20 Prozent verbessert und zwar in den Bereichen Kraft, Koordination und Denkfähigkeit. Das heißt für uns: Training ist immer möglich – und zeigt immer einen Effekt.

Das schwerste ist das Anfangen …

Ja, das allerschwerste ist die Menschen zu aktivieren. Wir wissen heute alle, dass Bewegung gut für uns ist. An welchen Triggern muss ich ansetzen? Wo hole ich die Leute ab? Da müssen wir noch viel dazu lernen.

Wie sieht das optimale Bewegungsprogramm aus?

Es sollte eine Kombination aus Ausdauer- und Kräftigungstraining sein. Auch die Beweglichkeit und Koordination muss gezielt geschult werden. Lauftraining alleine ist zum Beispiel eine zu einseitige Belastung und muss entsprechend ergänzt werden.

Kann man einfach so loslegen? Oder sollte man vorher einen Arzt aufsuchen?

Auf jeden Fall, wenn man längere Zeit keinen Sport getrieben hat. Dann wäre es fahrlässig einfach so mit einem Trainingsprogramm anzufangen – auch hinsichtlich eventuell bestehender Vorerkrankungen. Im Rahmen der ärztlichen Beratung erhält man dann unter anderem auch eine gute Handlungsanweisung, welche Sportart geeignet ist.

Wie ist ihre Erfahrung mit Sportanfängern: Überlasten sie sich zu schnell und steigen deswegen wieder aus?

Typischerweise steigen diejenigen wieder aus, die sich unrealistische Ziele setzen. Deswegen ist es wichtig, es nicht gleich zu Beginn zu übertreiben.