Reisetipp Rhein: Erst war er Mythos, später Kloake – wie der Rhein wieder zur Lebensader geworden ist

ZACK, der Deckel, und zack, das Bier. Sylvain Demonchaux schaut überrascht, seine Mutter Alice ist überrumpelt. Kaum sitzen die Franzosen an ihrem hellen Holztisch, da kriegen sie schon Bier befohlen. Altbier zudem – unten kaffeebraun, oben weißer Schaum, bittersüß duftend. Sieht appetitlich aus, aber sie haben kein Bier bestellt. „Mais c’est l’Allemagne“, das ist Deutschland, raunt Madame ihrem Sohne unsicher zu und schaut sich unter all den Menschen um, die sie umgeben und so viel und heiter reden. Ihr Blick fragt: Ist das normal?T1

Was sagt die Speisekarte? „Soleier? Bizarre! Flönz? Qu’est-ce que c’est?“ Der Mann vor ihnen im blauen Zwillich, mit der Lederschürze vor dem Unterleib und dem Bleistift hinterm Ohr, empfiehlt auf Englisch die Haxe: „The pork knuckle comes grilled and with Sauerkraut.“

Tolerantes Kuddelmuddel

Die Franzosen fügen sich mit einem „D’accord“ in ihr Schicksal. Sie rechnen mit dem Schlimmsten, aber als dann die zwei Hämmchen vor ihnen stehen – kross gegrillte Eisbeine in goldenem Glanz –, ist ihre Bekehrung auf bestem Weg. Sie säbeln sich Stücke aus dem Fleisch, bestreichen sie mit Senf und schieben sie sich in den Rachen. Der Kerl in Blau, der Köbes, kommt noch oft mit seinem Biertablett vorbei, und bevor die Gäste fröhlich „oui“ sagen können, steht – zack – das frische Glas schon da.

Die Franzosen sind beruflich nach Düsseldorf gereist – zur Weinmesse – und erleben eine Stadt, die konstant jene Stimmung ausstrahlt, die bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland für ein paar Wochen herrschte: die eines Sommermärchens. Da möchte man sich Madame Demonchaux anschließen und fragen: So viel gute Laune, ist das normal?

„Für uns schon“, antwortet Michael Schnitzler, 49, Chef im Brauhaus Uerige. „Das ist ja aber auch nur in zweiter Linie Deutschland hier. Zuerst mal ist hier Rheinland, wo ’normal‘ was anderes ist.“Rhein 2

Das Land am Flusse Rhein, das Rheinland, wo beginnt es, und wo hört es auf? Schnitzler denkt nach. „Das Rheinland ist natürlich gar kein Land, sondern eine Region, die mal Teil von Preußen war.“ In Berlin hätten sie den Begriff geprägt, als preußisch wurde, was vorher 1000 Jahre irgendwelchen Kleinfürsten oder der Kirche gehörte. Schnitzler führt weiter aus: „Napoleon hat die Gebiete annektiert, und als der platt war, hat Preußen sie bekommen. Da hatten die Calvinisten in Berlin dann lauter Katholiken am Hals, denen sie gründlich misstrauten. Um sich bei ihnen beliebt zu machen, haben sie erst mal den Kölner Dom zu Ende gebaut.“ Das sei gut angekommen, und dennoch: Die Preußen und das Rheinland, die seien sich immer fremd geblieben. Schnitzler kommt zu dem Schluss: „Preußen gibt’s nicht mehr, aber wir Rheinländer sind noch immer da. Wir sind ein tolerantes Kuddelmuddel, immer heiter, immer skeptisch, aber auch kompromissbereit.“

Viele der deutschen Länder gehen auf Stämme zurück, Thüringen, Bayern und Sachsen, also auf Ethnien. Das Rheinland ist das Gegenteil von einem Stammesland. Und die Rheinländer sind folglich diejenigen, die da gerade wohnen. Ein Zufallsvolk, sagt Schnitzler: „Denn, mein Gott, wer ist hier schon alles durchgezogen!“ Für ihn sind Rheinländer einfach ein über 2000 Jahre gewachsener bunter Haufen. „Alles irgendwie Zugezogene mit Migrationshintergrund“, wie er sagt. „Wir wissen das und stehen dazu.“

Sauerbraten, Haxen, Blutwurst

Dem Brauer Schnitzler geht es gut, das sieht man. Holzfass auf Holzfass rollen die Köbes aus den Kühlkellern herbei und hämmern die Messingzapfhähne mit Klängen in die Spundlöcher, als würden sie eine Axt in einen Baum hauen. Kellner rennen mit Tabletts voller Mettbrötchen vorbei, kommen damit aber nicht sehr weit – schnell sind sie leer. Sauerbraten, Haxen, Blutwurst, Düsseldorfs Brauhäuser sind Kathedralen der Genusssucht.

Nicht nur die Brauhäuser, ganz Düsseldorf erfährt einen Aufschwung, seit die NRW-Hauptstadt die verkehrsreiche Rheinuferstraße, einst eine Todeszone für Katzen und Hunde, in einen Tunnel gelegt und so eine Promenade geschaffen hat. Zwischen der Rheinknie- und der Oberkasseler Brücke ist jeden Tag Copacabana. Sobald die Sonne scheint, bebt und wogt dort eine bunte Feiermeile – mit Zigtausend tanzenden, traumseligen und einander in den Armen liegenden Männern und Frauen, von denen gefühlt jede zweite blond ist und eine Loreley.

Was am Ufer des Rheins abgeht, ist für Identitäre und Islamisten der blanke Horror. Weiß und braun liegt Arm in Arm mit schwarz. Kopftuchmädchen tragen kurze Röcke, rosarot knutscht violett – es ist ein großer Schwoof.Rhein 3

„Ich war letztes Jahr in Paris“, sagt die Gastronomin Simone Küffner, 41, die auf den Wassern vertäut das Feierschiff „MS Allegra“ betreibt, „ich war also in Paris und hab mir da die Seine angesehen, da geht inzwischen auch was ab – das hat mich voll an Düsseldorf erinnert!“ Paris wird jetzt an Düsseldorf gemessen, nicht umgekehrt, so sehr hat sich am Rhein das Selbstbewusstsein gewandelt.T2

Von jeher war der Rhein Deutschlands „melting pot“, schon als es den Pütt entlang der Ruhr noch gar nicht gab mit seinen Tetzlaffs und Koslowskis. Germanen, Kelten, Römer, Juden, Hunnen, Franken, Wikinger, Spanier und Franzosen, neuerdings auch Türken und Kurden, sie alle haben auf dem Rhein verkehrt, sich gemischt und vermehrt.

„Lück am Rhing“

Wie es an einer Gedenksäule der Nachbarstadt Köln geschrieben steht: „An dieser Stelle lag einst, vom Rhein umflossen, die Martins-Insel. Auf dieser Insel trafen sich römische Legionäre mit blonden Ubier-Mädchen, Urahnen der Familie Schmitz.“

„Es gibt in Deutschland wohl kein vermischteres, toleranteres und sinnenfröhlicheres Volk als die Lück am Rhing“, sagt der Brauerei-Mann Schnitzler.

Aber gilt das auch am ganzen Rhein, immerhin gut 1230 Kilometer lang, und nicht nur in Düsseldorf und Köln?

Fahren wir 163 Stromkilometer aufwärts. Ein hübsches Örtchen liegt dort – von der „RMS Goethe“ aus betrachtet. Das Motorschiff ist ein Schaufelraddampfer von 1913, der tatsächlich noch mit diesem Antrieb fährt und täglich anlegt, wobei die kupferne Schiffspfeife, tief aus dem Maschinenraum noch mit Dampf betrieben, ihr heulendes Signal feucht durch das Rheintal rotzt. „Meine sehr verehrten Damen und Herren“, tönt der Steward aus dem Lautsprecher, „wir erreichen jetzt Braubach. Nächster Halt ist Braubach!“Rhein 4

Touristen steigen aus. Viele sind es nicht. Gut, Braubach ist nicht Düsseldorf, aber ein paar mehr könnten es schon sein bei der Schönheit des Ortes, über dem auf einem 160 Meter hohen Bergkegel stolz die Marksburg thront. Er liegt am felsig steilen Oberen Mittelrhein, dem landschaftlich attraktivsten Teil des Stromes, seit 2002 von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannt. Hier schneidet sich der Fluss durch das Schiefergebirge, das mal stahlblau gleißend und mal bräunlich-felsig von den Ufern aus schroff in die Höhe steigt und im 19. Jahrhundert Reisende aus aller Welt anzog.

Besonders prominente Felsstürze tragen die regionale Bezeichnung Ley, so gibt es die Erpeler Ley, die Elfenley und die berühmte Loreley, vor der einst tückische Untiefen die Schiffer in den Tod rissen, weil sie nur Augen hatten für eine Blondine, die auf dem Fels saß und ihr güldenes Haar toupierte.

Raus aus dem Schlimmsten

Von güldenem, ja überhaupt von irgendwelchem Haar kann bei Erich Kunz kaum noch die Rede sein. Der Herr von 83 Jahren ist Gastronom, Denkmalschützer und Führer auf der Burg Sterrenberg. Kunz betreibt mit seiner Tochter das Fachwerkhotel „Zum Weißen Schwanen“ mit guter Küche und bestem Rheinwein.

Mit seinem altersweisen Gesicht könnte er als „Vater Rhein“ durchgehen, von dem der Schöpfer eines Schunkellieds behauptet, er habe ihn „in seinem Bett gesehen, ja der hat’s wunderschön …“ Beim Anblick von Herrn Kunz könnte man aber auch dichten: „Ich hab den Vater Rhein in seinem Schreck gesehen …“ – so knitterig zerfurcht ist sein Gesicht. Was ist der Grund?

Der blumenbunte Innenhof des „Schwanen“ ist mit Natursteinen gepflastert, man setzt sich gern zum alten Herrn ins Kunz-Idyll, zumal die Tochter Lorcher Riesling einschenkt – „alte Reben, was ganz Feines“. Dann fragt man ihn: Herr Kunz, was ist?Rhein 5

Herr Kunz weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll, wenn er vom Rhein erzählt. Zunächst mal lacht er und sagt, man solle sich nur umschauen, am besten auf einer Radtour den Strom entlang. „Dann sieht man: Das Rheinland ist aus dem Schlimmsten raus. Auch dem Fluss selbst geht es wieder besser.“T3

Kaum eine Region in Deutschland bekam den Zweiten Weltkrieg härter zu spüren als die an Rhein und Ruhr, deren Städte – mit wenigen Ausnahme wie Speyer – allesamt in den Staub sanken, und mit ihnen tausend Jahre baulicher Geschichte.

Bronzene Germania

Und kein Gewässer auch hat im 19. und 20. Jahrhundert mehr gelitten als der Rhein, seit die dort angesiedelte Industrie den Fluss mit Chemie vollkippte – zuletzt war es 1986 der Baseler Chemieriese Sandoz, dessen Gift, rot wie in der Bibel der Nil Ägyptens, stromabwärts treibend im Wasser alles Leben tötete.

Und ja, wer eine Tour am Wasser entlang unternimmt, erlebt einen Rhein, der wieder klar glitzert. Er riecht frisch, und die Gischt, die die Fracht- und Fahrgastschiffe vor sich herschieben und im Strudel der Schiffschrauben aufwühlen, ist hellweiß. In den Auen und auf den Inseln singen die Vögel, auf den Weiden grasen die Kühe, und an den Ufern im Rheingau sitzen die Menschen in Badehose und Bikini im seichten, sauberen Wasser und kühlen sich ab.

Ruderboote, Kanus und Kajaks ziehen vorüber, Windsurfer brettern die Ufer entlang. Über den Rheinsteig, einen 320 Kilometer langen Fußweg von Bonn nach Wiesbaden, ziehen die Wanderer in Scharen und posieren für ein Foto unter dem Niederwalddenkmal bei Rüdesheim, wo eine bronzene Germania über den Strom blickt und wo das Lied von der „Wacht am Rhein“ in Fels gemeißelt steht.Rhein 6

In der Rüdesheimer Abtei Sankt Hildegard, gleich um die Ecke, singen die Benediktinerinnen wie schon seit 800 Jahren von früh bis spät zum Lobe Gottes, ihre Fremdenzimmer sind ausgebucht, und die Weine ihres Klosterweinguts, besonders der Spätburgunder Weißherbst, gehören zu den besten des Landes.

Wer all das gesehen und erlebt hat, so schnuckelig und so schön, der fragt sich: Warum muss Erich Kunz dann bisweilen weinen? Der alte Herr führt durch seinen Ort. Okay, neben hübschen Fachwerkhäusern sind auch etliche, die von Plastikfenstern und Wärmedämmung grässlich entstellt sind. Dann fällt auch der Leerstand auf, und man merkt: Hier stimmt was nicht. Was das ist, braucht Kunz nicht groß zu artikulieren. Alle paar Minuten setzt seine Rede aus, dann tobt der Horror durch den Ort – die Bahn.

Siegfried mag am Siebengebirge den Drachen erschlagen und in Blut gebadet haben. Längst aber haust am Rhein ein neuer Drache.

Burg- und Hansenfest

„Ist ja klar“, sagt Kunz, „dass die Eisenbahn da entlangfährt, wo es schon immer Wege gab.“ Und das war am Rhein, weil Europa einst nur auf dem Fluss sicher zu bereisen war. „Heute aber ist die Strecke zur Hauptgütertrasse von Rotterdam nach Genua geworden – das bringt uns um. Fragen Sie auch mal die Leute in anderen Orten, in Sankt Goar etwa oder in Bacharach.“

Okay, so wird’s gemacht.

Beim Radeln durch das Rheintal lernt man erst, was Lärm bedeutet. Gleich auf beiden Uferseiten durchschneidet die Bahn die Orte in jeweils zwei Hälften und rattert mit Container- und Tankwagenzügen durch das Leben der Anwohner. Die Züge sind so lang, wie das Empire State Building in New York hoch ist. An Schlaf ist nicht zu denken. Protestplakate, die in allen Orten zumindest Nachtfahrverbote für die Züge fordern, verbleichen in der Sonne. Die Bahn ignoriert das Leid der Leute einfach. Die Hotels in den kleinen Orten sterben, die Menschen wandern ab.Rhein 7

Natürlich versuchen diejenigen, die bleiben, die Orte attraktiv zu halten und Touristen anzuziehen, denn wovon sonst, außer vom Wein, lebt der Mittelrhein?

Historien- und Ritterspiele sind Veranstaltungen, die Menschen anziehen. So werden auch in diesem Jahr zum Burg- und Hansenfest in Sankt Goar wieder Tausende Besucher anreisen, selbst aus den USA. Hubert Zakowski aus Washington etwa fliegt seit 15 Jahren ein, das Fest des Hansenordens mitzufeiern, einer Kaufmannsgilde aus dem 13. Jahrhundert, die sich heute der Pflege der Burg Rheinfels hoch über der Stadt widmet. Vor Begeisterung ist Zakowski längst Mitglied.

Et es, wie et es, et kütt, wie et kütt

Seit die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg auch bei Sankt Goar über den Rhein setzten, gibt es freundschaftliche Verbindung der Bürger zu Menschen in Amerika. „Oh, it’s so different from the USA“, sagt Zakowski, er liebe die alten schiefergedeckten Häuser, gedrungen in den Hang gebaut, die Fahrten auf dem glitzernden Rhein, die vielen Burgruinen und die Kirchtürme, den Wein und die Geselligkeit. Salutschüsse eröffnen das Ereignis, bei dem der Hansenmeister den Ort durchwandert, um „Fremdlinge“, die in Sankt Goar angelandet sind und Aufnahme begehren, zu prüfen und dann freizusprechen, also in den Bund aufzunehmen.

In Eisen gelegt, dürfen sie zwischen einer Taufe mit Wein oder Wasser wählen. Wer Wasser vorzieht (ist umsonst, Wein käme teurer), wird eisig übergossen. Es ziehen dann alle auf die Burg und machen Bratwurst und Weinvorräte mit einem geschmetterten „Heil und Humpen!“ nieder.

Doch Hansenmeister Marcus Fries gibt unumwunden zu, dass es ihm mit seinen Brüdern recht schwerfällt, die Tradition lebendig zu halten. Von der Burg blickt er hinunter: Die Kirchen sind zwar da, die Türme der Stadtbefestigung, die Schieferdächer mit ihren Schlepp- und Spitzgauben, die Rebhänge und der grüne Mischwald – das Paradies auf Erden könnte dies alles sein.Rhein 8

„Könnte, ja, ist es aber nicht“, sagt Fries und deutet auf den Fluss. „Warum fährt der Mensch ans Meer?“, fragt er und gibt die Antwort: „Er will ans Wasser. Doch schauen Sie – sitzt da unten wer?“ Nein, da sitzt niemand. Wie auch niemand an Spaniens Stränden säße, wenn zwischen Wasser und Liegestühlen Züge verkehren würden. Das Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal bröckelt, kaum dass es erklärt ist.

Die Schweiz hat das Gotthardmassiv komplett untertunnelt. Würde man ein ähnliches Bauwerk durchs rheinische Schiefergebirge bohren – die Qual wäre vorbei.

Wie kann es sein, dass die Leute sich nicht stärker auflehnen? Woher kommt der heitere Sinn der Menschen am Rhein, der an Fatalismus grenzt und die Kölner sagen lässt: Et es, wie et es, et kütt, wie et kütt, un wat fott es, es fott?

Biergarten „Alter Hammer“

„Vielleicht vom Bewusstsein für die Bedeutung, die die Städte am Rhein immer hatten“, sagt der Publizist Alfred Grosser, 93, der den Franzosen Deutschland und den Deutschen Frankreich erklärt. „Hier war und ist die Hauptschlagader Europas. Egal, was war, der Rhein floss weiter, die Schiffe kamen, der Handel blühte. Mal war es mehr, mal weniger, aber es ging immer weiter, so etwas gibt Gelassenheit.“

Es ist ein sonniger Tag in Speyer, der Domstadt am Oberrhein, neben Deidesheim der Ort, an den Helmut Kohl so ziemlich jeden Staatsgast schleppte, der sich nicht schreiend wehrte.

Im Sommer ziehen die Speyrer, wenn sie nicht an den Altrheinarmen baden, surfen oder angeln, Eis schleckend in die Restaurationen am Rheinufer wie den Biergarten „Alter Hammer“. Unter den Kastanien sitzen sie in Massen. Sie unterhalten sich. Vor ihren Augen tosen Schubschiffe stromauf und -ab, die Wasser pflügend, schäumend, gischtend, mit Kohle- und Erzbergen, Containerwänden beladen, mit zu mehreren Etagen hoch gestapelten Autos, getürmten Baumstämmen und Stahlrohren, mit Flüssiggaskugeln und Erdöltanks. Etwa zehn Prozent des Güterverkehrs werden in Deutschland auf Flussschiffen transportiert, das sieht man hier. Die Häfen von Mannheim und Ludwigshafen sind nah.Rhein 9

Gleich neben dem „Alten Hammer“ führt eine neue Brücke über den Rhein – der Verkehr nutzt sie wie selbstverständlich. In London, Paris und Rom gibt es etliche alte Brücken, am Rhein dagegen fast nirgends. Dort gab es lange schnell aufzuhebende Schiffsbrücken oder Fähren.

„Auch aus Angst vor den Franzosen“, sagt Grosser, die geeignetste Person, das Unverhältnis zu besprechen, das Deutsche und Franzosen jahrhundertelang miteinander hatten und bei dem es stets um eines ging: den Besitz des Rheins. „Nach dem Hundertjährigen Krieg mit England wollte Frankreich natürliche Grenzen – Pyrenäen, Alpen, die Meere. Im Osten schien das der Rhein zu sein.“ Bis 1840 ließ Frankreich nichts unversucht, seine Grenze an den Strom vorzutreiben. Wieder und wieder wurde das Land verwüstet, besonders zur Zeit Ludwigs XIV.

„Der Rhein steht für Europa!“

Zur Unterbrechung der Tristesse kommt zum Glück der Kellner. In Speyer gibt es allerdings nicht mehr – zack – ein Bier, hier kann der Gast pfälzisch wählen. Der Kellner hinterlässt zum Studium die Karte, die Grosser durchblättert, und dabei kommt er zum Ende.Rhein 10

Die deutschen Herrschaften taten sich schwer, den französischen Generälen etwas entgegenzusetzen. Der Kaiser war fern und im Kampf gegen die Türken gebunden, die zeitweise wiederum mit Frankreich verbündet waren. Erst als das Rheinland nach Napoleon an Preußen fiel, änderte sich das Kräfteverhältnis.

Und heute? „Was leben wir im Grunde doch in guten Zeiten“, sagt Grosser und zeigt auf den Rhein. Niederländische, französische und deutsche Schiffe fahren auf dem Wasser auf und ab und halten die Wirtschaft am Laufen. „Dass dies möglich ist, ist fast ein Wunder.“

Die Burgruinen, die heute so romantisch scheinen, sind in Wahrheit Relikte aus finstersten Raubritterzeiten, in denen jeder Fürst Zölle erheben und den Verkehr behindern konnte. Seit 1868 gilt freie Rheinschifffahrt für alle, der Vertrag dazu hat bis heute Bestand und kann als einer der Vorläufer der Römischen Verträge von 1958 angesehen werden. Grosser sagt: „Gemeinsam haben Deutsche und Franzosen den Oberrhein begradigt. Gemeinsam nutzen wir nun den Rhein – der Fluss steht für Europa!“Rhein 11

Könnte man so schön an der Elbe sitzen, bei derlei Gesprächen? Im Sandsteingebirge bei Dresden, ja sicher. Oder an der Donau? Na klar, auch in der Wachau. Aber ohne das herrliche Gefühl des Laissez-faire, das überall am Rhein herrscht.

„Mon dieu“

Der Kellner kommt zur Aufnahme der Bestellung. Was essen die Leute hier denn so? „Na, den Wurstsalat mit Vinaigrette“, sagt er genau in dem Moment, als ein Kollege zwei Monsterportionen an den Nachbartisch schleppt. „Mon dieu“, sagt Grosser, „die sind enorm. Ist das normal? Was isst man denn dazu?“

Die Antwort ist: Pommes frites. „Ah, eine gute Idee – dann aber eine große Portion, bitte. Und noch etwas, ein Bier!“Deutsche Schlösser_13.55