Hafenstädte an der Nordsee: Emden: Ostfrieslands westlichste Attraktion

Backsteine sind ehrliche Steine. Robust, praktisch, zeitlos, ohne Verzierung, ohne Klimbim. In Emden dominiert der Backstein, die ganze Stadt trägt Klinker. Die Fußgängerzone, die Hauswände, die Fahrradwege: Alles schimmert in Rottönen von Rost bis Merlot. Das hat etwas Heimeliges, und wer durch die Straßen von Emden spaziert, fängt wie von selbst an zu schlendern. Durch die kleinen stillen Gassen, in denen ab und an eine Möwe lacht und durch die nur hin und wieder ein Hollandrad klappert. Vorbei an den Cafés und Teestuben, vor denen ältere Herren mit Hut und Schnurrbart sich auf Plattdeutsch unterhalten und es so klingt, als kenne diese Sprache kein Wort für „Hektik“, dafür aber zehn für „Tee“.

Geschäftiger wird Emden erst, wenn die Gassen auf den Rathausplatz münden und den Blick freigeben auf den Ratsdelft: Das Hafenbecken mitten in der Stadt war einst ein Umschlagplatz für Waren und Güter aus aller Welt. Heute tummeln sich hier Touristen, um auf den Museumsschiffen Fotos zu schießen oder einen Platz für die Hafenrundfahrt zu ergattern.

Während sich die Besucher in die Boote drängen, blicken ihnen die Delftspucker-Statuen stumm hinterher. Nordisch lässig lehnen die drei Männer aus Bronze am Geländer, und einer von ihnen speit ab und zu einen Wasserstrahl Richtung Delft – eine Hommage an die vielen Seefahrer, die früher an der Promenade ihre Zeit totschlugen, den Mund voller Kautabak und Seemannsgarn.

Bei aller Lässigkeit: Emden ist keine verschlafene Stadt

Die Kneipendichte ist hoch, wie es sich für eine Hafenstadt gehört, und viele der alten Freudenhäuser existieren noch immer. Emdens Anfänge als Seehafen reichen zurück bis ins Mittelalter. Der Handel florierte auch dank niederländischer Kaufleute, die sich in der Stadt niederließen. Zeitweise stieg Emden zu einem der wichtigsten Häfen Nordeuropas auf, der selbst den großen Hansestädten Konkurrenz machte.

NordeseeheftDer erfolgreiche Handel verwandelte die friesische Siedlung in eine prächtige Stadt. Man baute beeindruckende Kirchen – aus Backstein – und Bürgerhäuser mit Treppengiebeln nach flämischer Art. Heute stehen davon nur noch zwei in der Pelzerstraße. Alle anderen fielen den Fliegerbomben im Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Nach dem Luftangriff vom 6. September 1944 lagen 80 Prozent der Emder Innenstadt in Trümmern. Die Nordseewerke hingegen, die U-Boote für den Krieg produzierten, blieben nahezu unversehrt. In Emden erzählt man sich, dass die Engländer ihre jungen Bomberpiloten nur zum Üben nach Emden schickten, weil die Stadt so nah an der britischen Insel liegt.

Die „Große Kirche“, Emdens ehemals größtes Gotteshaus, wurde fast vollständig zerstört. Es liegt nicht weit entfernt vom Ratsdelft. Inzwischen wurde das Kirchenschiff teilweise wiederhergestellt – natürlich mit Backstein – und beherbergt die beeindruckende Johannes a Lasco Bibliothek, benannt nach dem wirkmächtigen Theologen und Reformator.

Aus dem Gebetshaus ist ein Haus der Kultur geworden

Im Seitenschiff reiht sich über zwei Etagen Buchregal an Buchregal, im Mittelschiff mit den goldenen Lüstern finden neben Gottesdiensten auch regelmäßig Konzerte und Matjes-Essen statt.

Überhaupt hat man in Emden ein Händchen für Unterhaltung und Kultur. stern-Gründer, -Chefredakteur und -Herausgeber Henri Nannen stiftete seiner Heimatstadt eine Kunsthalle, die 2005 mit einer Edvard- Munch-Ausstellung auch über die Stadt hinaus für Aufsehen sorgte. Tendenziell leichtere Kost serviert man im Otto-Huus direkt am Ratsdelft, wo eine Dauerausstellung den wohl bekanntesten Ostfriesen, Otto Waalkes, feiert.

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Das beliebteste und zugleich bestgehütete Kulturgut der Emder aber bleibt der Tee. „Drei Tassen pro Tag, das ist Ostfriesenrecht“, so sagt es Tanja Geiken, Mitarbeiterin beim Familienunternehmen „Thiele Tee“. Wenn der Früchtetee von Hand abgepackt wird, duftet die ganze Straße nach Hagebutte und Orange. 

Der Kassenschlager aber ist natürlich der schwarze Ostfriesentee. Jeder Besucher bekommt von Tanja Geiken eine Tasse serviert, die sie streng nach den Regeln der ostfriesischen Teezeremonie zubereitet. Erst Kandis, dann Tee, dann Sahne, und vor allem: nicht umrühren! Jede Schicht soll zur Geltung kommen, ehrlich und unverfälscht. So, wie man es in Emden eben am liebsten hat.

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