Polenmarkt – Einkaufen oder Tanken ins EU-Ausland
Schon eine halbe Stunde vor Abfahrt stehen die Leute Schlange am Bus.Dabei ist nicht Monatsanfang. Wenn es Hartz IV gibt, kann es voll werden. Das hat Monika König erlebt. „Ich bin einmal nicht mitgekommen“, erzählt die Rentnerin. Drei Mal täglich fährt ein Shuttle-Bus von Berlin-Marzahn zum Einkaufen nach Hohenwutzen an der deutsch-polnischen Grenze. Fünf Euro kostet das einfache Ticket zum „Polenmarkt“. Der Schnäppchenmarkt in Cedynia hinter der Oder-Brücke heißt tatsächlich so.
Zum Einkaufen oder Tanken ins EU-Ausland: Das gibt es auch an anderen deutschen Grenzen. Für Berliner ist es ein Ausflug in eine andere Welt. Die Bustour startet zwischen Autohaus und Plattenbau an der Allee der Kosmonauten, gefühlte Lichtjahre entfernt von Kanzleramt und der Weltstadt aus dem Easyjet-Bordmagazin.
Marzahn: Da war letztes Jahr die viel gelobte Internationale Gartenausstellung. Ganz los geworden ist das Viertel die Klischees aber noch nicht – Cindy aus Marzahn, Hochhäuser und Sozialamt. Hier im Osten Berlins ist Polen den Leuten noch näher als manchen Wessis, die nicht mal wissen, dass man im Nachbarland in Zloty bezahlt.
Der Bus wird vom Polenmarkt organisiert
Die 70 Plätze sind an diesem Morgen fast voll besetzt. Viele unternehmenslustige Rentner sind unterwegs, auch Menschen, die aufs Geld gucken müssen. „Ich kaufe nur Zigaretten, dann fahre ich zurück“, sagt eine Frau. Die Stange koste sie 29 statt 70 Euro. Das lohnt sich, wenn man Zeit hat. Der Bus fährt an Windrädern, Wiesen und Dörfern vorbei. Nach etwas über einer Stunde sind Sie am Ziel. Direkt daneben: ein Campingplatz für Wohnmobile und Tankstellen.
An den Ständen rund um eine alte Papierfabrik gibt es: Zigaretten, Bier, Unterhosen, Schaschlik, Gardinen, Radkappen, Brautkleider, Kinderwagen, Gartenzwerge, Schlagermusik, Schlagringe, Unkrautmittel, Hundekörbe und Blumen. Man kann in Euro bezahlen. Gerade ist Spargel besonders billig, das Pfund kostet 1,50 Euro. Im Restaurant steht Soljanka-Suppe auf der Karte, der Cappuccino wird mit Sprühsahne serviert. Die Verkäufer rufen „Tabak, die Dame?“ oder „Zigaretten vielleicht, hallo?“
Schmuck und Petunien
Wer die Berlin-Brandenburger Schnauze sucht, hier auf dem Markt ist sie unterwegs. „So’ne Klimperscheiße“, sagt eine Frau, die an einem Stand mit Deko und Windspielen für den Balkon vorbeigeht. Am Schmuckstand buchstabiert Jacqueline Schwerdtfeger ihren Namen: „mit „dt“, wie Damentoilette“. Die Postzustellerin sucht sich gerade mit Freundin Anne Fröhlich glitzernde Ringe aus. „Du kaufst keine Handtasche!“, mahnt sie lachend, als die Begleitung zum Stand mit den nachgemachten Designertaschen guckt.
Anne Fröhlich ist öfter auf dem Markt unterwegs. „Es lohnt sich.“ Was es hier gibt? „Zigaretten, Softeis, Schnickschnack“. Ein Rentner-Ehepaar hat sich für 60 Euro mit Petunien, Elfenspiegel und Verbenen für den Balkon eingedeckt. Für die Blumen würden sie in Deutschland das Doppelte bezahlen, erzählen sie.
Der Zoll kontrolliert
Etwa vier Stangen Zigaretten pro Person sind bei der Einreise nach Deutschland erlaubt. Beim Zoll heißt es: „Es wird kontrolliert, klar.“ Auf dem Markt geht es aber nicht nur um billiges Benzin und Zigaretten. Es ist auch ein bisschen Abwechslung, wie Kino. „Man kann über Leute lästern“, sagt Monika König, eine von den unternehmungslustigen Rentnerinnen aus dem Osten Berlins. So wie über den Mann, der nur mit Badehose und Latschen vom Campingplatz zum Markt schlurfte, wie Königs Freundin Gerlinde Möller erzählt.
Die beiden Mittsechzigerinnen kommen ins Plaudern: wie es ist, wenn das Rentenalter anfängt, was sie von der aktuellen Hartz-IV-Politik halten, über Ossis und Wessis. Als Monika König ein anderes Mal zum Polenmarkt gefahren ist, hat sie dem Besuch aus Hannover im Scherz versprochen: „Wir machen einen Ausflug ins sozialistische Ausland.“ So hießen Länder wie Polen zu DDR-Zeiten. Mehr als 28 Jahre nach dem Mauerfall ist der Sozialismus weit weg. Heute sind Spargel und Benzin wichtiger.
Als Monika König und Gerlinde Möller wieder in den Bus nach Berlin steigen, haben sie Tomatenpflanzen und neue Gardinen in ihren Tüten. Zur Kaffeezeit sind sie zurück in Marzahn. Als sie aussteigen, stehen schon die nächsten in der Schlange, um mal kurz nach Polen zu fahren